Briefwechsel

Brief 1:
Berlin, 29. 7. 2004

Lieber Freund,

und Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich Sie so nenne, nach allem, was uns in der letzten Zeit gemeinsam begegnet ist.

Schatten und Licht waren dabei so untrennbar miteinander verbunden, dass unverhohlen ein höherer Wille dahinter zu stecken schien.

Sie haben mich in Ihrem letzten Brief gefragt, wie es um diese Herbstausstellung im Land Niedersachsen bestellt ist. Wie die Arbeit dafür voran geht, welche Perspektiven sich ergeben und wo Ansätze bereits im Keim stecken blieben.

Allem voran wird an die 40 sogenannten herausragenden Positionen im Land kein einziger Euro ausbezahlt, weder für Material noch für Aufwandsentschädigung. Sie wissen um meine prekäre Haushaltslage, die kaum kleine Sprünge zulässt, geschweige denn Sätze und so bildet diese Musterschow eine zusätzliche Belastung doch, sagen Sie selbst: Gibt es Alternativen? Preise und Stipendien segeln in andere Häfen, Sammler und Jäger suchen in Revieren, die abseits den unseren liegen und die nichtjüdischen Ahnen mussten schon vor geraumer Zeit, Firmen und Grundbesitz im Kampf um das tägliche Wurstbrot verkaufen.

Zum grossen Kummer meinerseits, gibt es darüber hinaus auch noch in mir diese unlukrative Lust gegebene Rahmensituationen in Frage zu stellen.

Als künstlerische Eigenschaft bestimmt lobenswert, jedoch im Zuge einer Haushaltssannierung mehr als unnütz.

Stellen Sie sich vor, anstatt ordentliche Bildware anzubieten – Fotos, Gemaltes, Zeichnungen, Installiertes – bieten wir eine Einrichtung auf 2,5m² an, die ihr Tagesgeschäft erst nach der grossen Eröffnung beginnt. Also nach dem Tag, an dem die Menschenherden da waren, an dem ich einmal gemeinsam mit den Besitzenden in einem Revier schlenderte, plauderte, trank.

Während die Kollegen zumindest vom Ansatz her Kunstgegenstände aufreihten, wird in meinem von mir gewünschten Feld eine gerade mal 30cm grosse Fahne stehen, clube de arte Porto, ohne Wind dafür in Farbe. – Wohlgemerkt alles aus diesem inneren Drang und damit eben nicht aus freien Stücken.

Vielleicht wollen Sie mir zur Seite stehen.

Ich wäre Ihnen dankbar

Mit sehr herzlichen Grüssen
Ihr D. G. Schürer


Brief 2:
Hildesheim, 30.7.2004

Lieber Freund,

kaum ist es ein Tag her, dass ich Ihnen ein paar Zweifel in eigener Sache zukommen liess, schon finde ich Bestätigung für meinen flatterhafte Projektvorschlag innerhalb der Homepage des besagten Veranstalters: Lassen Sie mich zitieren:

... Die Herbstausstellung versteht sich dabei nicht als Sammelbecken für die Kunst der Region, sondern als spezifische Plattform für herausragende Positionen. Insofern kommt der Qualität hohe Priorität bei der Auswahl der beteiligten Künstler zu ...

In wie weit man solche Selbstbewertungen ernst nehmen kann, bleibt dem einzelnen vorbehalten, doch warum am Ende dann eine Liste von 9 Ausgewählten steht und der Rest von 31 herausragenden Positionen unter dem Kürzel u.a verweilt, bleibt dem empfindsamen Wesen unverständlich.

Sie kennen mich und mir war es nie wichtig unter meinem Namen irgendwo aufzutreten und so halte ich es weiter aber dieser Gestus lässt Gefühl vermissen.

Des weiteren steht ein Teleskop im Text rum, direkt darunter: Abb.: Olav Raschke Bildarchiv.

Beschuldigen Sie mich als Mimose, aber geht es nicht auch um Feinheiten in unserem Geschäft.

Der Grafiker und Webseitengestalter O. Raschke, bestimmt in der Freizeit auch Künstler und Schöngeist, wird für seine Arbeit bezahlt, in der Regel gut. Genügt das nicht. Muss man auch noch überall irgendwelche Verweise streuen. Warum die Auswahl der 9 Künstler. Soll man sie ganz weg lassen oder alle 40 vollständig aufzählen. Jeder scheint sich bemüht nochmals zu sieben, hervorzustreichen, nur wenn es darauf ankommt, bleibt alles wie beim alten. Man hängt sein Ideechen auf und hofft auf die Wertschätzung des Kunstvolks. Ja vielleicht auf einen Kniefall also einen Ankauf oder eine weiteres Ausstellungsangebot.

Wissen Sie, ich hoffe, dass manche dieser herausragenden Positionen des Landes Niedersachsen mich Lüge strafen, mir links und rechts an die Backen schlagen, mir zeigen, dass das Leben längst nicht so einfältig ist, wie es in meiner begrenzten Fantasie auftritt.

Ja, treten wir dieser Angelegenheit optimistisch entgegen.

Lassen Sie uns Träumen von Sternen und - niemand soll danach klagen, dass er nicht fliegen kann.

Ich liebe Sie, ich liebe Sie, ich siebe Sie.

Nur jetzt muss ich weiter
Ihr D.G.Schürer


Brief 3:
22. 9. 2004

Lieber Freund,

es ist schon wieder September. Die Blaubeerpreise steigen und die Äpfel kommen aus Deutschland. Mädchen tragen ihre letzte Bräune aus und mir - wurden die Haare geschnitten.

Sie liegen jetzt im Papierkorb, wie selbstverständlich und meinen, dass sie recycled werden. Vielleicht zu holzfreiem Briefpapier, doch darin irren sie. Sie sind verloren.

Gestern war also diese niedersächsische Herbstausstellung und wie das letzte Mal schien der ungeschlagene Meister aller Klasse eine kleine, blaue Karte mit dem Wort Verzehr darauf. Diese wurde im Vorfeld an die ausstellenden Künstler verteilt und sollten die Lösung für Hunger- und Durstgefühle darstellen.

Sie lösten selbstlos und ohne aufsehen auch gleichzeitig die Probleme der Freunde und Bekannten. Eine kleine, blaue Pappe hatte macht über Bier, Wein, Wasser, Kassler und Sauerkraut..... Auch den größten Geizhälsen wuchsen Spendierhosen. Hier war Gleichheit keine leere Hülse mehr , - nur musste man eben diese kleine, blaue Karte haben. Während die Strichliste hinter der Theke wuchs, wurden die Augen und unserer Geist klein. Es schien, als ob er die leeren Flaschen füllen musste – Tribut für die großzügigkeit der kleinen, blauen Karte.

Gegen 1°° Uhr nachts, der letzte Zug war schon über alle Berge, kamen zwei junge Frauen. Eine war davon sehr hübsch. Irgendwie schien sie einem Galaabend entsprungen zu sein. Blonde hochgesteckte Haare, ein schwarzes Kleid, zarter Halsschmuck und ein noch viel zarteres Decoltée. Ihrer Lippen glänzten wie geoilt, während die Wangen voller Sterne waren. Nachdem ich doch wohl ein wenig lang gestarrt hatte, strahlte sie zurück und wendete das Wort an meinen Bistrotischnachbarn Dieter Fröhlich.

Nun muss gesagt werden, dass unter der lauten Musik die Verständigung zu leiden hatte aber Dieter Fröhlich konnte auch beim vierten Versuch der jungen Dame ihm etwas ins Ohr zu sagen, nichts verstehen. Immer entschuldigte er sich, mit dem Hinweis, er hätte aber auch gar nichts verstanden von dem was sie sagte. Ein wenig enttäuscht stellte die Frau den Versuch der Kommunikation ein und Dieter Fröhlich änderten den Standpunkt. Er ging zur Theke.

Nun wurde ich zu ihrem neuen Nachbarn und sogleich erzählte sie mir etwas ins Ohr. Es war warm und duftete allerdings wusste ich genau, dass ich diese Wahrnehmung nicht dem Ohr zu danken hatte. Sie redete etwas von blauen Augen, blonden Haaren, von dem, dass sie manchmal ein echtes Archloch wäre aber gar nicht so sei, wie mancher glaubt und für diesen Inhalt benötigte sie einen Monolog von 2 Minuten. Also auch ich musste große Teile einfach nicht verstanden haben. Wie sich im Laufe der nächsten Minuten rausstellen sollte lag der Grund zum einen in der Geschwindigkeit ihres Redens als auch im Inhalt Ihrer ungewöhnlichen Ansprache.

Er floss behend und scheinbar frei von Inhalt über ihre glänzenden Mund. Es war wohl das Oil auf ihren Lippen, dass damit in Verbindung stand.

Auf die Frage, ob sie etwas trinken wollte, antwortete sie “einen Kurzen” und ob man danach nicht woanders hingehen könne. Für den “kurzen” fand ich aus Ermangelung ein Bier und für das “woanders” eine Ausrede. Irgendwann legte sie dann noch ihren Arm um mich, spielte mit dem Haar, was davor nicht abgeschnitten wurde und war verwundert, dass ich ein Mann bin. Sie schien mir nicht betrunken, dass soll betont sein.

Nachdem sie mich dann noch gebeten hat, ja wirklich gebeten, ihr die Ausstellung zu zeigen und ich abermals einen Vorwand fand, dies Abzulehnen, wendete sie sich enttäuscht einem anderen Gast zu.

Diese Enttäuschung verflog schnell und gleich floss es wieder in ein Ohr, dieses Mal ein anderes als das meine, was ich bedauerte. Ich wollte, dass sie neben mir stand, den ganzen kurzen Abend noch, mich beleuchtet, mir Dinge erzählt, die nicht nur auf Grund des Lärms unverständlich blieben, doch warm und endlos duftend sein sollten.

Aber auch von diesem Herrn trennte Sie sich schnell und flog an einen Nachbartisch. Zwei Männer wunderten sich dabei ebenso, zogen aber nach 5 Minuten mit den beiden Damen nach draußen.

Nun ja, kann man sagen. Es blieb die Leere.

Gegen 3²° wechselten ich mit dem Kollegen Frisch die Einrichtung, nicht nur freiwillig aber mit der tiefen Erkenntnis, dass im Kunstverein offensichtlich das Ende vor der Tür stand und wer begrüßt schon in so einem Fall das Ende?

Unsere Bahn wollte sich in 2 Stunden in unsere Richtung bewegen also bewegten wir uns noch zur gegenüberliegenden Premierenfeier.

Kaum eingetreten, saß Sie auf einem Stuhl, dicht an der Eingangstür, sichtlich ermüdet von der Arbeit Konversation zu betreiben oder Monologe zu halten. Sie war weiterhin schön, nur die Flügel waren in Ruhestellung.

Kurz darauf packte Sie ihr Sachen und verschwand mit Ihrer Freundin allein durch die Tür. Einen Gruß ließ sie zurück.

Ich wollte ihr noch nachgehen und sagen, dass sie an diesem Abend mindestens so gut war, wie der kleine, blaue Pappkarton mit dem Wort Verzehr darauf, also das Beste unter den herausragenden Positionen des Landes Niedersachsen aber wahrscheinlich hätte Sie mich gar nicht verstanden.-

Aber vielleicht doch.

Vielleicht hätte es sie ein wenig gewärmt und vielleicht hätte es auch ein wenig geduftet.


Brief 4
1. 10. 2004

Lieber Freund,

es ist hier wieder einmal längst der Tag angebrochen, durch hundert Fenster scheint die Welt in meinen Raum, der nicht meiner ist.

Hier spricht Hannover, Kunstverein Hannover.

Wie sie wissen, war gestern wieder einer dieser Mittwoche, an denen wir uns bemühen zu forschen, zu verändern, zu unterhalten, zu siegen oder zu scheitern.

War der vorangegangene Übungstag als glücklich zu bezeichnen muß dem gestrigen Fahrigkeit attestiert werden. Es war ein hantieren mit Rettungsanker, die im Nachhinein alles noch viel undurchsichtiger haben werden lassen.

Aber lassen sie sich ein wenig den Ablauf schildern.

Im Vorfeld war ein vom Kunstvereinsleiter S.B. durchgeführtes Künstlergespräch. Rede und Antwort gab F.R., der Preisträger des diesjährigen Sparkassenpreises. Nun wissen sie um meine Schwierigkeiten derartigen Gesprächen zu folgen und doch, auf Grund der gestellten Fragen und mancher Antworten kam es zu einer angenehmen Annäherung an das ausgestellte Werk. Es war eine gelöste Stimmung, die nicht unbedingt als rauschend zu bezeichnen war, was wohl auch nicht in der Absicht der Veranstalter lag.

Im Anschluß wurde mir der Ball zugespielt. Als Kunstvereinsleiter einer Hildesheimer Einrichtung mit diversen Außenstellen und in der Folge begann auch schon mein Fehleintritt.

Anstatt zu sagen: Sehr geehrte Damen und Herren, es findet jetzt etwas vollkommen anderes statt und wer sich als kulturell gefüllt ansieht, der soll bitte jetzt Mut und Möglichkeit beim Schopf packen und zu einem Wein, zu einem fortführenden Gespräch, zur Frau, zum Mann gehen. – Statt dessen plapperte ich irgend etwas von Beginn in 5 Minuten, CLAP, Teil 4 und blablabla.

Es folgte die Rede. Dabei ging es um Stipendien im Allgemeinen und in aller Kürze. Der Text war nicht schlechter als andere aber die Vortragsform glich einem gehetzten Tier. Der Schuldige war dabei ich und nie die Gäste, obwohl man sagen könnte, daß Gäste immer auch Gastgeber sind und eine eingeschlafene Front nicht anspornt aber darüber muß sich der Redner erheben, muß seinem Tempo treu bleiben, den Glauben daran und damit an sich, nicht niederlegen.

Die Rede fand sein Ende und ich stolperte zum nächsten Teil. Der pädagogische CLAP – Dienst. Hier eröffnete ich Erkenntnisse zu den Schlössern zwischen Weimar und Buchenwald und zu der Arbeit Kaiser wieviel Schritte gibt’s du mir. Die Gäste wollten mir dabei weder nach Buchenwald folgen noch zu den Schlössern, was aber nur bedingt an den Gästen lag sondern an meiner ungezielten Richtung. Allen gleichzeitig es recht machen zu wollen und dabei sich selbst zu verlieren birgt die Gefahr, dass es am Ende nicht einmal einem selbst gefallen hat.

Es folgte ein Brief aus dem Jahr 2000, der ein paar Aussagen über die Wegstrecke gibt, aber insbesondere Aussage über einen kleinen Vorfall innerhalb der 14 Monate in Weimar.

Dieses ganze Konstrukt von Weimar und Buchenwald sollte als hausinternes Beispiel über Arbeiten dienen, die erst innerhalb der Auseinandersetzung mit einer fremden Umgebung zustande kommen und deshalb Plädoyer sind, für Stipendien und Förderung von Landeskünstlern außerhalb ihres eigenen Landes.

Hier führte ich den Bogen zurück zum CLAP, immer noch im Kampf um die Aufmerksamkeit der Umherstehenden doch mittlerweile erschöpft vom Strampeln und Hampeln.

Im Zuge der Vierteilung sollte sich jetzt noch die Versteigerung anschließen. So munter wie letztes Mal konnte es längst nicht mehr werden aber vielleicht gab es noch die Möglichkeit für einen Teilsieg.

Das Versteigerungsgut waren 8 Schallplatten, darunter eine vom Papst und ein Buch mit dem Titel “1000 Worte russisch”.

Ehrlich gesagt waren es Schallplatten, die man nicht unbedingt in seiner Sammlung haben muß aber sie standen in ihrer unbeschwerten Wertlosigkeit in Gegensatz zum Buchenwald – nein die vom Papst ist schön aber mit einem Anfangsgebot von 25 Euro in einer unerreichbaren Höhe für Unbeteiligte. (Übrigens die anderen Platten fanden ihr Anfangsgebot bei 30 cent).

So fanden nur manche Gegenstände einen neuen Besitzer, was mich noch einsamer werden ließ. Mit den Worten von S.B zu sprechen: Die Gefolgschaft wurde verweigert und so ritt ich zum letzten Gang nämlich zu den Apfelscheiben mit Spekulatius. Diese wurden bereitwillig angenommen.

Doch noch ein Teilsieg, lassen wir den Optimisten als Schlußwort sagen.

Bezug: 29.9.2004

Als vierter Teil innerhalb der Angelegenheit im Kunstverein Hannover ging es innerhalb der Rede am 29.9.04 um Stipendien und Projektförderung.

Hierzu wurden die Schlösser zwischen Weimar und Buchenwald/1999 Weimar und Kaiser wieviel Schritte gibt’s du mir/2001 Porto (ehemalige Eisenbahnverbindung zwischen Weimar und Buchenwald) exemplarisch vorgestellt, als Plädoyer für die Fremde, für den Austausch über Landesgrenzen, für Modifikation der Förderstrukturen.